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AutorenbildHarald Müller

Der Weihnachtsesel

Frau Müller fühlte sich unwohl in ihrer Haut, obwohl das Weihnachtsfest vor der Tür stand. Noch drei Tage, dann war Heiligabend. Aber Weihnachtsstimmung kam noch nicht auf. Wie denn auch? Die Gedanken waren bei ihrer Tochter, die heute Morgen einen Untersuchungstermin in der Klinik hatte. Ihre Tochter war bereits fünf Tage über dem errechneten Zeitpunkt. Ihr Enkelkind wollte einfach nicht auf die Welt kommen. Frau Müller befürchtete, dass ihrer Tochter eine Geburtseinleitung drohte. Deshalb machte sich Frau Müller große Sorgen um ihre Tochter und ihr ungeborenes Enkelkind. Gestresst räumte sie das Geschirr ein. Plötzlich klingelte es an der Haustür. Bevor sie die Haustür erreichte, hatte ihr Mann die Tür bereits geöffnet und sagte lachend: „Wollen Sie uns ein Tier verkaufen?" Frau Müller trat an die Tür und erkannte, warum ihr Mann lachte. Eine junge Frau mit Pelzmütze, Lederjacke und Stiefeln hielt einen Esel an einer kurzen Leine. Die junge Frau lächelte und antwortete: „Nein, der Esel ist unverkäuflich. Den brauchen wir für unsere Existenz. Ich sammle für unseren Zirkus im Winterquartier." „Ständig wird bei uns an der Tür geklingelt!", herrschte Frau Müller die junge Frau an. „Leute, die uns Weihnachtskarten andrehen oder Spenden sammeln wollen. Gestern hat uns jemand aus dem Mittagsschlaf gerissen, weil er uns einen Tannenbaum verkaufen wollte. Jedes Jahr der gleiche Scheiß.“ Die Frau schien ziemlich entmutigt und antwortete immer leiser werdend: „Entschuldigung, dass konnte ich ja nicht wissen" Herr Müller lächelte beschwichtigend: „Natürlich konnten Sie das nicht. Woher sollten Sie auch? Wo sind Sie denn mit ihrem Zirkus untergekommen?" „Beim Bauer Harms." „Ach da, das ist ja in der Nähe, an der Grenze zu Linn. Wann geht es wieder los mit dem Zirkus? Über Weihnachten läuft ja nichts. Wer geht über die Weihnachtstage schon in den Zirkus?" „Da haben Sie vollkommen Recht. Jetzt sind überall Weihnachtsmärkte, also erst Mitte Januar auf der Wiese hinter dem Marktplatz." Die junge Frau hatte die Leine inzwischen losgelassen, und der Esel stand regungslos neben ihr. Es war ein schönes Tier mit dunkelbraunem Fell. Während Herr Müller den Rücken des Esels streichelte, fragte Herr Müller nach dem Namen des Esels. :„Lumpi“ Herr Müller schmunzelte. „Das ist ja ein lustiger Name. Wie heißen Sie?" „Ich?" "Nein, nicht Sie persönlich. Ich meine Ihre Zirkustruppe, die haben doch alle einen Namen so wie Busch, Krone oder Roncalli." Das Gesicht der jungen Frau machte einen verdutzten Eindruck. Sie zog ihre Stirn in Falten. „Wir sind nur ein kleiner Familienbetrieb. Über dem Zelt steht nur einfach 'Zirkus'. „Was für Attraktionen bietet Ihr Zirkus?“, erkundigte sich Herr Müller. "Wir haben einen Feuerschlucker und einen Clown. Die Hauptattraktion ist aber Lumpi mit seinen Kollegen." Sie klopfte dem Esel liebevoll und setzte ihr bezauberndes Lächeln auf. „Wir spielen die 'Bremer Stadtmusikanten'. Meine beiden Töchter und die drei Söhne meiner Schwester trommeln ganz leise in der abgedunkelten Manege. Als erster läuft Lumpi herein und stellt sich vor ihnen auf. Danach kommt der Hund Rupek, der auf Lumpi heraufspringt. Die Perserkatze Lilek hat auch keine Schwierigkeit, mit einem Sprung auf dem Hund zu landen. Das Spielen der Kinder wird immer lauter, und bei einem Trommelwirbel flattert der Hahn nach oben." "Donnerwetter!", entfuhr es Herrn Müller. Er tätschelte den Esel am Hals und sagte: "Du bist ja ein richtiger Star. Da kann ich ja gar nicht anders, als dir ein Leckerli zu besorgen." Bevor die junge Frau etwas sagen konnte, verschwand Herr Müller ins Haus. Frau Müller sagte schuldbewusst: „Ich habe das vorhin nicht so gemeint." Frau Müller tat es echt leid, dass sie die junge Frau so unhöflich behandelt hatte. Sie hatte ein Ventil gesucht, um ihren Kummer Luft zu machen. Da kam ihr die junge Frau gerade recht, die gar nichts dafür konnte. Lächelnd winkte die junge Frau ab. „Das bin ich gewohnt." Herr Müller kam zurück und hielt dem Esel eine Möhre hin, die er sofort genüsslich zerkaute. Herr Müller öffnete sein Portemonnaie und fragte: „Wo haben Sie Ihre Sammelbüchse?" „Wir nehmen das Geld so an", antwortete die junge Frau. "Mit diesen Metalldosen haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Die meisten stecken da nur Münzen rein, manchmal nur zehn Cent." „Ich verstehe.“ Er entnahm einen Zwanzig-Euro-Schein und drückte ihn der jungen Frau in die Hand. „Oh, vielen Dank. Frohe Weihnachten!" Die junge Frau nahm den Esel an die Leine und ging. Kurz vor der Gartenpforte blieb der Esel stehen und bedankte sich mit einem großen Haufen. Die Frau versuchte ihn, noch nach draußen zu zerren, aber Esel sind ja bekanntlich stur. „Nun auch noch diese Schweinerei,“ schimpfte Frau Müller Ihr Mann lachte. "Man sagt doch: Scheiße bringt Glück." „Ja, dann mach das gleich wieder sauber!" Als er zurückkam, war sie mit der Arbeit in der Küche fertig und hatte ein paar Äpfel zerschnitten. „Wo hast du den Mist hingetan?“ „Na, wo schon? Auf unserem Komposthaufen. Das ist doch bester Dünger." Jetzt lachte sie. „Ein dressierter Zirkusesel, den man nicht mal davon abhalten kann, bei großzügigen Leuten seine Hinterlassenschaft im Vorgarten abzuladen." Er blieb ganz ernst und fragte: „Bist du so sicher? Der hat ja noch nicht mal ein vernünftiges Halsband. Du hast doch selbst diesen Strick von Wäscheleine gesehen?" Er nahm sich ein Stück Apfel und ergänzte dann: "Bauer Harms züchtet doch Esel, und die Wiese hinter dem Markt hat schon seit Wochen einen Bauzaun." „Du meinst, sie hat uns belogen und sich den Esel nur ausgeliehen?" „Ja, genau, das meine ich." Das Gesicht von Frau Müller zeigte Unverständnis. „Dann hast du ihr trotzdem zwanzig Euro gegeben, nachdem sie vorher diese Masche mit der Spendendose und den Münzen abgezogen hat?" „Ja, weil dazu großer Mut gehört. Außerdem hatte sie viel Phantasie. Diese Ausschmückung mit den Bremer Stadtmusikanten war wirklich gelungen und fast überzeugend." Frau Müller schwieg. Herr Müller kaute nachdenklich an dem Apfel und sagte dann: „Außerdem ging mir noch etwas anderes durch den Kopf: Der Esel war doch damals auch in Bethlehem dabei. Vielleicht war das irgendein Zeichen?" Seine Frau schüttelte lächelnd den Kopf. „Du hast auch so eine blühende Phantasie wie diese Zirkusprinzessin." Abends rief ihr Schwiegersohn an. „Herzlichen Glückwunsch! Ihr seid Großeltern geworden. Eure Tochter hat heute Mittag ein Sohn entbunden. Es war eine ganz normale Geburt ohne Komplikation." Herr Müller lächelte glücklich und erleichtert und meinte: „Von wegen Phantasie. Dann waren die zwanzig Euro doch gut angelegt.“

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